Im Fluss der Geschichte

Eine Schiffsfahrt in Deutschlands Nordosten beeindruckt durch viel Natur – die dramatische Vergangenheit bildet den Hintergrund

Gespannt stehen die Passagiere auf dem Oberdeck der MS Excellence Coral, ein erster Höhepunkt der Reise durch die Havel-Oder-Wasserstrasse naht, die Passage des Schiffshebewerks Niederfinow. Noch vor wenigen Stunden schlenderten wir durch das Brandenburger Tor in Berlin. Jetzt gleitet das Flussschiff an einer grünen, unverbauten Auenlandschaft vorbei, ein positives Erbe der 1989 untergegangenen DDR. Die wirtschaftliche Rückständigkeit des kommunistischen Ostdeutschlands erweist sich hier als Glücksfall, denn wo im Westen Kanäle zu Betonrinnen umfunktioniert und Sümpfe entwässert wurden, säumt hier Schilf die Wasserwege, dahinter Feuchtgebiete und Weiden. Seit Jahrhunderten führte eine künstliche Wasserstrasse von Berlin nach Osten in Richtung Oder, dem Grenzfluss zu Polen. Vor rund hundert Jahren hob man einen neuen Kanal aus, der freilich einen Höhenunterschied von 36 Metern zu bewältigen hatte, den man mit mehreren Schleusen überwand.

Gegentrend zu den Ozeanriesen Das Schiffshebewerk, das jetzt wie eine Mischung aus Riesenkran und Eiffelturm langsam näherkommt, wurde 1934 dem Betrieb übergeben. Im Zeitlupentempo gleitet unser schwimmendes Hotel, subtil dirigiert von Kapitän Andreas Starke, in eine Art Wanne. Ein eindrückliches Schauspiel für die Landratten. Das Boot sinkt mitsamt der Wanne in wenigen Minuten auf die untere Ebene des Kanals ab. Die Tage dieses technischen Monuments sind freilich gezählt, im Grünen nebenan ist ein neues Hebewerk für weit grössere Schiffe im Bau, denn auf dem Kanal zirkulieren namentlich Frachtschiffe, deren Dimensionen wachsen.

Flussfahrten sind im Trend, ein Gegenpol zu den immer grösser werdenden Kreuzfahrtschiffen. Während auf den Riesen der Ozeane Tausende Passagiere unterwegs sind, beherbergt die MS Excellence Coral gerade einmal 80 Gäste und 25 Crewmitglieder. Wo bei den grossen Schwestern quasi rund um die Uhr auf einem der Decks, in Bars und Theatern etwas los ist, wird auf den Flussschiffen die Kunst der Langsamkeit und Ruhe gepflegt.